Gerd Scholze

 

 

ene mene Tekel


ene mene tekel
Montage 1 bis 4

C-Print
50x70 cm
2006


ene mene tekel
Video
DVD Stereo
00:11:51:21
2006

"Ene mene muh, und 'raus bist du!", diesen vertrauten Abzählreim
aus Kindertagen kennt wohl jeder, der damals Spiele gespielt hat,
in denen es um eine Dezimierung der Mitspieler ging. Doch was bedeutet
diese Verschmelzung mit dem Ausdruck "Menetekel", abgeleitet
von der düsteren Weissagung "Mene mene tekel u-parsim"
(Aramäisch: "gezählt, gewogen, geteilt") aus dem Alten Testament,
die eines Abends bei König Belsazar an der Wand erschien und
die niemand - außer dem Propheten Daniel - deuten konnte?

Ein Stein im Wald. Er ist einfach viel zu groß, um nicht im Laufe
der Jahrhunderte eine besondere Bedeutung bekommen zu haben.
Was geschah an ihm, auf ihm, um ihn herum? Spielten die Kinder hier
bloß Packen und Verstecken? Oder spielten sich weitaus ernstere Dinge ab?
"Alte Taufe" heißt der Stein im Volksmund. Ganz einfach und positiv also:
Hier wurden Menschen getauft; ein neues Leben begann.

Wenn man das Video betrachtet, treten allerdings Zweifel auf.
Was bedeuten die Augen, die auf einmal erscheinen, weit aufgerissen,
in rasendem Tempo in alle Richtungen schauend, völlig gehetzt - als sei da jemand
auf der Flucht, oder als erwarte er zumindest großes Unheil auf sich zukommen?
Warum färbt sich das Wasser im Taufbecken plötzlich blutrot?
Eine weitere, ältere Wahrheit kommt ans Tageslicht:
Vor der Christianisierung ist der Stein einst rituelle Opferstätte gewesen.
Hier endete Leben. Die Tage des zu opfernden Wesens waren gezählt.
Es war sozusagen aus den üblichen Bezügen des Alltags "'rausgezählt" worden.

Heute, so möchte man meinen, spielt all' das im Wald keine Rolle mehr.
Gott ist abgeschafft. Der Stein vermoost. Getauft wird - wenn überhaupt - woanders.
Opferbringen ist aus der Mode gekommen. Die Spaßgesellschaft hat sich durchgesetzt.

Antje Heeren